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österreichDas Boulevardblatt Österreich hetzte vor der Vertragsunterzeichnung Marcel Kollers aufs Schärfste gegen den Schweizer. Bedient wurden alle Klischees, die es über die westlichen Nachbarn gibt. Kolumnist Hans Krankl entblödete sich zur Aussage „Österreich soll von einem Österreicher trainiert werden.“ Das sagt viel über das Land aus.

Ein großer Anteil der heimischen Nationalteamspieler hat einen Migrationshintergrund, von David Alaba, über Christoph Leitgeb bis Ramazan Özcan. Im aktuellen Kader sind das acht von 24 Spielern, ein Drittel. Das ist der gelebte Internationalismus in einer Fußballwelt, in der im Sinne der Nationalteams Anachronismen des 19. Jahrhunderts bedient werden. Nationalstaaten sind spätestens seit dem freien Personenverkehr innerhalb der Europäischen Union noch obsoleter, als sie es zuvor schon waren. Die Perversion der per se Ablehnung von Legionären unter dem Vorbehalt verschiedener Nationalitäten wird durch einen Vergleich der Rapidkader aus 2005/06, der Champions League-Saison, und dem gegenwärtigen ersichtlich. Damals gab es zehn Legionäre, lediglich Axel Lawaree, Marcin Adamski und Mario Bazina kamen aber aus Orten, die weiter als Bregenz von Wein entfernt sind. Auch der in Würzburg geborene Steffen Hofmann ist näher an Wien dran, als es ein Bregenzer wäre. Das soll zeigen, wie absurd so manche Überlegung hinsichtlich Legionäre eigentlich ist. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet ergibt der Anti-Legionärswahn im Grunde genommen genau so wenig Sinn wie jener um das Tamtam um den Teamchefposten, welches Wolfgang Fellner höchstpersönlich losließ. Was sollte es für einen Sinn haben, gegen Koller zu schreiben, bloß weil sein Geburtsort in der Schweiz befindlich ist.

Kritikpunkte wären ja da…

Dabei würde es tatsächlich Kritikpunkte geben. In der Sportzeitung habe ich sie ausformuliert, hier nur kurz angerissen: Personalpolitik, Spielaufbau, Stürmerzuschnitt, Konzept bis zu U16 runter – das wären Punkte, die an Marcel Koller zu kritisieren wären, wenn Fellner das hätte tun wollen. Dass er sich auf die Nationalität schmeißt, zeigt die Niedertracht des Unterfangens. Dass er damit rechnen konnte, dass ein nicht unerheblicher Teil Fußballösterreichs sich einen „Herzerl“ mit „Schmäh“ und heimischem Pass wünschen würde, ist erschreckend. Gott sei Dank funktioniert der Ausländerbeißreflex nicht beim Gros der Bevölkerung, aber doch bei einem Fünftel, interpretiert man die Nationalratswahlen in diese Richtung. Hätte Koller „national“ entschieden, wäre das in der Fellner’schen Logik folgerichtig gewesen, er hätte einen aus seinem Klüngel hingeschrieben. Die Idiotie in dem Punkt ist aber ganz deutlich, dass Koller dann aber überhaupt kein Söldner wäre, sondern ganz genau das getan hätte, was ein Fellner sich vom Ausländer erwarten würde. Eine verrückte Denke ist das.

Fußball als Abbild der Gesellschaft

Wir Sportjournalisten reden uns gerne ein, dass der Fußball ein Abbild der Gesellschaft ist. Und das stimmt bis zu einem gewissen Punkt sicherlich auch. Das reicht von der breiten Akzeptanz – dass man das 2013 überhaupt schreiben muss! – der in zweiter Generation „Zuagroast’n“ bis zu dem Umstand, dass die Veilchen ihre Nazis bis auf einen kleinen Prozentsatz genauso wenig loswerden können wie Österreich die Objekt21er. Oder der Turbokapitalismus, der Fußballklubs schon vor der Bankenkrise 2008 in den Ruin trieb, dem Michel Platini in französisch-sozialistischer Zentraliltätstradition mit dem Financial Fair Play den Riegel vorschieben möchte. Dass Fellner nun hier folgerichtig von links, rechts, oben und unten Rüge erfährt, ist unter mehreren Gesichtspunkten folgerichtig.

Missinterpretation

Dem ÖFB hier nun eine Vorreiterrolle in die Schuhe zu schieben, wäre allerdings falsch. Es ist reiner Opportunismus. Das zeigt auch die Geschichte rund um Salzburg-Stürmer Alan. Es gibt keine Stürmer mit heimischem Pass, denen auf lange Sicht so ein Können zugestanden wird. Darum interessiert sich der ÖFB für ihn. Selbiges betraf die Teamchefsuche. Die Stimmung im Land kippte, auch dank des Aufkommens kritischer Web 2.0-Medien wie 90minuten.at, ballverliebt.eu oder abseits.at, die mit verschiedenen Ansätzen versuchten, die Hilflosigkeit des heimischen (Nationalteam-)Kicks aufzudröseln. Nach Brückner-Missverständnis und Constantini-Hurrafußball hätte ja dennoch nichts gegen einen Trainer aus Österreich gesprochen, der eventuell keine Gehälter aus der deutschen Bundesliga gewohnt war. Es gab halt keinen. Vor selbigem Problem wäre man diesen Tagen auch gestanden. Die einzig ernsthafte heimische Möglichkeit wäre Peter Stöger gewesen. Fachkreise hätten Experimente mit Tüftlern wie Damir Canadi oder Adi Hütter vielleicht nicht abgelehnt; diese hätte der ÖFB der breiten Masse aber niemals nicht verkaufen können.

Gott sei Dank keine Teamchefsuche!

Und somit können sich die heimischen Fans ohnehin nur den Angstschweiß eines Schweizer Teamchefs Marcel Kollers von der Stirn wischen, die Schnappatmung einstellen und sich freuen, dass in den nächsten zwei Jahren nicht alles komplett schief geht. Auch wenn mit Leo Windtner mehr Weitblick in den ÖFB einkehrte, war die Gefahr, dem Boulevard ein Zuckerl hinzuschmeißen mehr als evident. Österreich hat ja keine Ahnung, wie viel Glück es hat, dass Marcel Koller bleibt – ganz unabhängig vom Fußball.

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